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liquid olive

In der Ausstellung «SPLASH & VIBRATION» 19. 08. – 02.10.2022  im Zimmermannhaus Brugg
waren Angela Anzi und ich auf je einem Stockwerk mit einer Installation vertreten.
Die Arbeit «liquid olive» entstand zwischen 2020 und 2022, aus Performances, Malerei und Papierschnitt. Die Installation besteht aus 65 Papierschnitten, im Format 3m x 15m, sowie 7 Kleidungsstücken aus Performances.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Andrea Gsell, www.zimmermannhaus.ch
Text: Meret Arnold, Kunsthistorikerin
Fotos: Simone Haug

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liquid olive

Text von Meret Arnold, August 2022

liquid olive. Der Titel liest sich wie ein kurzes Gedicht. Es erzählt von einem flüssigen Zustand, ohne Umriss, aber alle möglichen Formen in sich tragend. Flüssiges Oliv. Eine Farbe in Bewegung. Sie zerfliesst in Linien, mäandert, bildet Becken, läuft aus. Von hellem Gelb über Dunkelgrün bis zu erdig Braun. Sie führt allerlei mit sich. Spuren des zurückgelegten Weges. Prägungen und Abdrücke, die sich einschreiben ins Flussbild.

Christine Bänninger ist Malerin und Performancekünstlerin. Auch das Werk liquid olive ist gleichsam aus öffentlichen Performances wie aus dem Atelier hervorgegangen.
Die Abgrenzung der beiden Bereiche ist irrelevant. «Sie verschmelzen zunehmend ineinander», sagt die Künstlerin. Egal, ob sie performt oder malt, begibt sie sich in den Raum, in die Farbe, mit ihrem Körper. Dabei ist der Prozess im Atelier genauso wichtig, wie das, was die Performance hervorbringt.

Rückblende: Christine Bänninger steht in einem weissen Kleid vor einem ausgerollten Papierbogen. Sie bewegt sich nicht, bis sie plötzlich – Splash! – die Farbe aus der Flasche spritzt. Jetzt fasst sie die Ränder des Papiers und neigt es in verschiedene Richtungen. «Mich fasziniert das Fliessen, zu beobachten, welchen Weg die Farbe nimmt. Es ist der Weg des geringsten Widerstands, ein Evolutionsprinzip wie in der Natur.» Die Künstlerin legt sich auf den Boden und rollt langsam über das Papier, bedruckt und lässt sich bedrucken. Den Farbverlauf schneidet sie aus, richtet ihn auf und ein im Raum. liquid olive hat viele Stadien durchlaufen, bis es sich vorübergehend zu dieser Form gefügt hat.

Im Januar 2020 führte Christine Bänninger im Kunstraum (ort) in Emmenbrücke ihre erste liquid-Performance durch. Seither haben sieben weitere stattgefunden. Die jüngste im Rahmen von «Bang Bang», der grossen Übersichtsausstellung zur Schweizer Performancekunst im Tinguely Museum in Basel. Dort lud sie die Zuschauerinnen und Zuschauer ausserdem dazu ein, die Farbe gemeinsam aus dem Papier zu schneiden. Ein partizipativer Akt, der an die Aktionen erinnert, die sie seit vielen Jahren im Duo mit Peti Wiskemann veranstaltet.

Die Installation liquid olive im Zimmermannhaus besteht aus ungefähr fünfundsechzig Papierschnitten. Seit ihrer Präsentation in der Alten Fabrik in Rapperswil Ende 2021 ist das Werk gewachsen. Bis übers Eck zieht sich das Oliv, greift aus auf die nächste Wand. Der Linienfluss verwandelt sich in einen vegetativen Raum. Er verheddert sich zum Gestrüpp, widerborstig und wild wuchernd. Das Fliessen ist ins Wachsen übergegangen, aus dem Formlosen ein sich fortpflanzender Organismus geworden.

Und doch erinnert das Werk in jedem Moment an seine Entstehung. An die Begegnung des Materials mit einem Körper, an Berührungen und gegenseitige Prägung. Die rosa Rückseiten strahlen an den Wänden ab und lassen die Papiere davor schweben. Eine Haut, dünn und verletzlich. «Die Natur formt mich und der Mensch formt die Natur«, sagt Christine Bänninger. Die Impulse der einzelnen Ereignisse lassen diese Haut bis heute vibrieren. Demgegenüber wirken die Kleider, die sie zu den Performances trug, wie Zeitmarken: das rosa Hemd, 30.01.2020, (ort), Emmenbrücke; der in gebrochenem Weiss glänzende Mantel, 15.11.2020, Kunsthaus Aussersihl, Vitrinen Müllerstrasse Zürich.

Später hüllte sich die Künstlerin in weiss grundierte oder ungrundierte Leinwand.
Die Trennung zwischen Malerin und Gemaltem verschwamm noch stärker. Rollend verschmolz sie mit der Farbe, dem Papier. liquid olive. Flüssige Olive. Ich stelle mir
einen Olivenbaum wie ein träumendes Bild zwischen den Kirsch- und Apfelbäumen des elterlichen Bauernhofs vor, auf dem Christine Bänninger aufgewachsen ist. Der nussige, ein wenig bittere Geschmack der hellen, gelbgrünen Olive verbindet sich mit dem Duft von schattigem, erdig feuchtem Oliv des Zürcher Unterlands. Die Frucht öffnet ihre Form und gibt ihren Saft frei. Er fliesst über unsere Zungen, ölt unsere Haut und unser Haar. Oliv ist das Mädchen und der Junge, zwittrig wie der dreitausend Jahre alte Baum. Für einen Moment ist alles flüssig, bis nur noch die Verdrehung des Stamms und die Verzweigungen der Äste daran erinnern.